Pressemeldungen

05.10.2011

Brysch gegenüber ZDF Heute.de: Diskutierte Änderung des Transplantationsgesetzes wird nicht zu mehr Organspenden führen. Mängel liegen in Organisationsversagen und Intransparenz

Sehr geehrte Damen und Herren,

gegenüber ZDF Heute.de hat die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung zu dem aktuellen Thema Organspende Stellung bezogen. Dabei stellt der Geschäftsführende Vorstand, Eugen Brysch, folgende drei Kernaussagen in den Mittelpunkt: Die Vorschläge von Bahr, Steinmeier und Kauder werden das Problem der unzureichenden Zahl an Organspenden nicht lösen. Die Probleme liegen vielmehr im Organisationsversagen des Transplantationssystems und in mangelnder Transparenz. Das heutige Wortlautinterview finden Sie im Internet unterhttp://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/26/0,3672,8355162,00.html oder hier:
Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung: "Entscheidungsgewalt darf nicht in Händen privater Organisationen liegen"
Mehr Organspender müssen her, aber wie? Eugen Brysch von der Deutschen Hospiz Stiftung tritt dafür ein, die Entnahme und Verteilung von Organen staatlich zu regeln, um mehr Transparenz zuschaffen. Mehr Spenderausweise alleine würden nicht helfen.

heute.de: Herr Brysch, es gibt immer noch viel zu wenige Spenderorgane. Warum?

Eugen Brysch: Statistiken zufolge haben wir in Deutschland jedes Jahr 4.000 Hirntote, aber nur 1.876 potenzielle Spender wurden letztes Jahr von den Krankenhäusern an die Transplantationszentren gemeldet. Das waren nur 47 Prozent aller möglichen Spender. Bei 1.296 kommt es dann tatsächlich zur Transplantation.

heute.de: Woran liegt das?

Brysch: An einem Organisationsversagen und völliger Intransparenz der Abläufe und Entscheidungskriterien bei einer Organentnahme. Auffällig ist: Bei 90 Prozent der Transplantationen erfolgt die Zustimmung durch die Angehörigen, nicht durch den Organspendeausweis.

heute.de: Wie bewerten Sie den Vorschlag einer Erklärungslösung von Gesundheitsminister Bahr ?

Brysch: Die Vorschläge von Bahr, ebenso von Steinmeier und Kauder sind nutzlos. Der Anteil der Ausweisträger hat überhaupt keinen Einfluss auf die Höhe der tatsächlichen Transplantationen. Jeder, der rechnen kann, wird das nach dem vorangegangenen Beispiel verstehen. Außerdem ist die Äußerung fahrlässig. Wie ist Selbstbestimmung des potenziellen Spenders möglich, wenn er nicht über Hirntodkriterien und Verteilungspraxis aufgeklärt wird? Bei der Ausweisausgabe auf dem Bürgeramt ist eine verantwortungsvolle und ausreichende Aufklärung nicht gegeben.

heute.de: Was müsste die Politik Ihrer Ansicht nach also tun, um tatsächlich eine Veränderung der Situation zu erwirken?

Brysch: Die Politik muss Kriterien für die Entnahme und die Verteilungspraxis festlegen. Die Entscheidungsgewalt hierüber liegt bislang einzig in den Händen von privaten Organisationen. Ein nicht-rechtsfähiger Verein wie die Bundesärztekammer legt die Hirntod-Kriterien fest. Private Stiftungen wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) und Eurotransplant in den Niederlanden entscheiden über die Vergabe von Organen. Und damit über Lebenschancen. Alles ohne parlamentarische und rechtsstaatliche Kontrolle.

heute.de: Wieso halten sich die Politiker raus?

Brysch: Aus Angst vor einer Grundsatzdiskussion. Es ist unangenehm, sich mit Fragen der Priorisierung auseinanderzusetzen. Es bedarf einer breiten öffentlichen Diskussion, die von der Politik gescheut wird, weil sie sonst verantwortlich gemacht werden kann. Dabei ist das ihre verfassungsrechtliche Aufgabe.

heute.de: Was sind Ihre Forderungen?

Brysch: Eine rechtsstaatliche Festlegung und Aufsicht über die Fragen der Entnahme und Verteilung der Organe. Das Organisationsversagen muss beendet werden, das heißt, es muss Transparenz geschaffen werden. Die Fragen, die sich die Menschen stellen, müssen beantwortet werden: Werde ich als Organspender trotzdem noch bestmöglich behandelt? Gibt es einen Widerspruch zu meiner bestehenden Patientenverfügung? Was heißt es eigentlich, hirntot zu sein? Die Politik darf nicht weiter Aktionismus betreiben, der darauf abzielt, die Anzahl der Organspendeausweise zu erhöhen. Die Fakten sagen eindeutig: Das wird nicht zu mehr Transplantationen führen.

Das Interview führte Carolin Conrady.

Hintergrund

Die gemeinnützige und unabhängige Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung ist die Sprecherin der Schwerstkranken und Sterbenden. Sie finanziert sich ausschließlich aus Spenden und Beiträgen von über 55.000 Mitgliedern und Förderern und unterhält das bundesweit einzigartige Patientenschutztelefon sowie die Schiedsstelle Patientenverfügung.