Pressemeldungen

04.05.2004

Neue Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung sind zu schwammig.

Stellungnahme zu den neuen Grundsätzen von Eugen Brysch, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung:

Es wäre eine Chance gewesen. Eine Chance, die Situation Schwerstkranker und Sterbender in Deutschland endlich zu verbessern. Aber die wenigen positiven Abänderungen in den neuen Richtlinien der Bundesärztekammer wiegen die überwiegend schwammige Begrifflichkeit, die sich einer deutlichen Positionierung entzieht, nicht auf.

Die neuen Richtlinien differenzieren in der Frage der künstlichen Ernährung. Dass künstliche Ernährung als ärztliche Behandlung definiert wird und das Stillen von Hunger und Durst zur Basisversorgung gehört, interessiert sicher den Gemeinsamen Bundesausschuss, der künstliche Ernährung aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen streichen will. Schließlich ist der Gemeinsame Bundesausschuss der letztendliche Gesetzgeber in Gesundheitsfragen, auch wenn dort die wirklich Betroffenen, die Patientenvertreter, nur beratend mitwirken dürfen. Aber wieso spricht die Bundesärztekammer bei der künstlichen Ernährung von „Behandlung“, wo es doch Grundrecht eines jeden Menschen ist, angemessen ernährt zu werden? Aus Kostengründen sei jeder dritte alte Mensch in Pflegeheimen unterernährt, war in der vergangenen Woche zu hören. Dass künstliche Ernährung nach Ansicht der Bundesärztekammer aus dem Bereich der Basisversorgung herausfällt, könnte in Zukunft für noch mehr Menschen lebensbedrohlich werden.

Völlig unverständlich ist auch, warum sich die Bundesärztekammer vom Artikel 1 des Grundgesetzes entfernt. Ein „Sterben in Würde“ forderten die alten Richtlinien. Die in den neuen Richtlinien formulierten „menschenwürdigen Bedingungen“ hingegen stufen diesen Würdebegriff herab. Es bleibt die Frage offen, warum die Bundesärztekammer an dieser Stelle ohne Not die Begrifflichkeit ändert. Zu klären wäre allerdings, was genau die Bundesärztekammer unter „menschenwürdigen Bedingungen“ versteht. Gefährlich an diesem Begriff ist seine Schwammigkeit.

Erfreulich ist hingegen, dass die neuen Richtlinien erstmals die Funktion des Bevollmächtigten einbeziehen. Wenn der Patient einen Bevollmächtigten eingesetzt hat, der über seine Wünsche und Wertvorstellungen informiert ist, sind den Anweisungen des Bevollmächtigten Folge zu leisten. Dadurch gewinnt die Umsetzung des Patientenwillens, die im Beschluss des Bundesgerichtshof vom März 2003 festgelegt ist, entscheidend an Bedeutung.

Doch fast scheint es wie das Prinzip: ein Schritt vor, zwei zurück. Bei der Begründung eines Behandlungsabbruchs hatten die Richtlinien von 1998 an dieser Stelle noch den unwiderruflichen Ausfall der Vitalfunktionen benannt. Diese wichtige und abprüfbare Indikation ist in den neuen Richtlinien dort weggefallen. Auch dadurch verlieren sich die neuen Richtlinien in einer nicht notwendigen Schwammigkeit.

Ähnlich verhält es sich mit dem Ernstnehmen des Patientenwillens. Wurde dieser 1998 als maßgeblich in Behandlungsfragen gesetzt, gesteht die Bundesärztekammer den Patienten nun nur noch zu, eine Behandlung abzulehnen. Die Möglichkeit des Patienten, seine letzte Lebensphase selbst zu gestalten, entfällt damit. Die terminologische Reduzierung auf die „Ablehnung einer Behandlung“ nimmt Schwerstkranken und Sterbenden ihr Recht, Behandlungen einzufordern, zum Beispiel die umfassende medizinische, pflegerische, psycho-soziale und – falls gewünscht – seelsorgliche Begleitung durch Palliative-Care. Dabei scheinen sich die neuen Richtlinien der Bundesärztekammer doch am Leben orientieren zu wollen: Im Zweifelsfall, so ist zu lesen, sollen sich Ärzte für Lebenserhaltung entscheiden. Doch wohlgemerkt: Einen Zweifelsfall soll es am liebsten gar nicht erst geben.

Ausgesprochen problematisch ist, dass nach den neuen Richtlinien der praktisch untaugliche Begriff der mündlichen Patientenverfügung aufgenommen wird. Diese Aussage karikiert den eigentlichen Sinn eine Patientenverfügung, da sie die Praxistauglichkeit torpediert und übertrumpft in ihrer Anmaßung alle positiven Pflänzchen der neuen Richtlinien. Sieht die Zukunft in Deutschland so aus, dass man über Themen wie Tod und Sterben gar nicht mehr spricht – aus Angst, mündliche Aussagen könnten im Ernstfall falsch interpretiert werden? Durch die Gefahr der Falschinterpretation mündlicher Aussagen ist dem Missbrauch Tor und Tür geöffnet. Wer berichtet denn, welche Äußerungen der Patient gemacht hat? Und wenn verschiedene Aussagen vorliegen: Welcher ist dann Folge zu leisten?

Wenn die neuen Richtlinien der Bundesärztekammer als Grundlage für die thematische Arbeit entscheidender Ausschüsse und Kommissionen dienen sollen – dann wird allein durch diese Aussage das Schicksal Schwerstkranker und Sterbender zukünftig von lebensgefährlicher Beliebigkeit bestimmt.

Berlin, 04.05.2004

Die Deutsche Hospiz Stiftung bietet außerdem einen schriftlichen Vergleich zwischen den aktuellen ärztlichen Richtlinien und denen von 1998 an.

Hintergrund

Die gemeinnützige und unabhängige Deutsche Hospiz Stiftung ist die Patientenschutzorganisation der Schwerstkranken und Sterbenden. Sie finanziert sich ausschließlich aus Spenden und Beiträgen von über 55 000 Mitgliedern und Förderern. Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen DZI hat der Stiftung sein Spendensiegel verliehen, das Markenzeichen seriöser spendensammelnder Organisationen. Schirmherrin der Stiftung ist die Schauspielerin Uschi Glas.