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21.12.2011

Patientenschutzorganisation stellt sechs zentrale Fragen zur Organspende vor / Bundestag muss Antworten geben

Berlin. Der Bundestag muss Anfang des kommenden Jahres die EU-Richtlinie im Transplantationsgesetz umsetzen. Doch neben mehr Transplantationsbeauftragten will die Politik eine zusätzliche Novellierung des Systems erreichen. Die Fraktionsspitzen hoffen, mit einer Entscheidungslösung den Mangel an Organspendern zu beheben. Jeder Bundesbürger soll mindestens einmal im Leben zu dem Thema befragt werden.

Mit sechs zentralen Fragen macht die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung heute in Berlin auf die Mängel des Transplantationsgesetzes aufmerksam. Der Geschäftsführende Vorstand, Eugen Brysch, fordert Aufklärung, um Angst und Misstrauen der Bevölkerung zu beenden. Brysch: „Wir wollen damit auch einen Beitrag leisten, Organspende in Deutschland zu fördern.“

Er sieht das Problem des Organmangels unter anderem darin, dass die Krankenhäuser ihrer Meldepflicht nicht nachkommen. Von den 4.000 bekannten Hirntod-Fällen wurden im vergangenen Jahr lediglich 1.900 Patienten gemeldet, also rund 47 Prozent. In 1.300 Fällen kam es dann tatsächlich zur Transplantation. Dabei erfolgte in über 90 Prozent der Organspenden die Zustimmung durch die Angehörigen. Angesichts dieser Zahlen stellen die Patientenschützer die Frage: „Wie sollen mehr Ausweisträger den Organmangel beheben?“

Unterstützt wird die Patientenschutzorganisation vom Verfassungsrechtler Prof. Dr. Wolfram Höfling. In einer juristischen Stellungnahme kritisiert er: „Unzureichend legitimierte Akteure (Bundesärztekammer, Deutsche Stiftung Organtransplantation, Eurotransplant) treffen auf der Grundlage eines inkonsistenten und verfassungsrechtlich mehr als zweifelhaften Todeskonzepts Entscheidungen über Leben und Tod, die nahezu vollständig der rechtsstaatlichen Aufsicht und Kontrolle entzogen sind.“

Weiterhin kritisiert Höfling das Hirntodkonzept der Organspendepraxis. Er gibt zu Bedenken, dass bei einem Ausfall aller Hirnfunktionen der menschliche Organismus in seiner funktionellen Ganzheit nicht komplett zusammenbricht. „Seit langem ist bekannt, dass das Herz eines Hirntoten selbständig schlägt, dass seine Vitalfunktionen und der Stoffwechsel erhalten sind. Hirntote Frauen bringen Kinder zur Welt“, erläutert Höfling. Er wirft die Frage auf: „Ist ein Hirntoter ein Lebender oder ein Toter?“

Aus seiner täglichen Arbeit am Patientenschutztelefon weiß Brysch, dass es einen weiteren Klärungsbedarf gibt, wenn es um Patientenverfügungen geht. In den meisten der zehn Millionen Patientenverfügungen begrenzen die Menschen intensivmedizinische Maßnahmen. Diese sind aber für die Organentnahme zwingend notwendig. Nur eine individuell auf die Krankheitssituation formulierte Patientenverfügung kann diesen Widerspruch aufheben. „Die dafür notwendige Beratung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Ein klarer Mangel der Regelungen zur Patientenverfügung“, sagt Brysch.

Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung verlangt ein ethisches Konzept bei der Herkunft der Spenderorgane. „Werden in Deutschland Organe implantiert, deren Entnahme nach deutschem Recht unzulässig wäre?“ Mit dieser Frage verweist Brysch auf unterschiedliche Vorraussetzungen für Organentnahmen in den sieben Eurotransplantländern. Während in Deutschland der Hirntod festgestellt werden muss, reicht in den Niederlanden und Belgien auch der Herz-Kreislaufstillstand aus. In Belgien werden sogar nach aktiver Sterbehilfe Organe entnommen. In dem einen Fall wären die Menschen nach deutschem Recht nicht tot, im anderen Fall wären sie getötet worden.

Die Patientenschutzorganisation fordert den Bundestag auf, dass zunächst die EU-Richtlinie zu den Transplantationsbeauftragten umgesetzt wird, die grundsätzlichen Fragen des Transplantationssystems aber zunächst im Bundestag beraten und entschieden werden müssen. „Wir brauchen eine funktionierende rechtsstaatliche Kontrolle, um den Menschen durch Transparenz und Information mehr Sicherheit in Fragen der Organspende zu geben“, fordert Brysch.

Hier steht die komplette juristische Stellungnahme von Prof. Dr. Wolfram Höfling als PDF zur Verfügung.

Hintergrund

Die gemeinnützige und unabhängige Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung ist die Sprecherin der Schwerstkranken und Sterbenden. Sie finanziert sich ausschließlich aus Spenden und Beiträgen von über 55.000 Mitgliedern und Förderern und unterhält das bundesweit einzigartige Patientenschutztelefon sowie die Schiedsstelle Patientenverfügung.